Berlin, den 12. April 2021
Sehr geehrter Herr Staatssekretär Gaebler, sehr geehrte Frau Staatssekretärin Smentek, lieber Berliner Senat, liebe Abgeordnete,
das Bündnis Digitale Stadt Berlin begrüßt die Rekommunalisierung des Stadtportals berlin.de. Es ist von besonderer Wichtigkeit, dass diese zentrale städtische Infrastruktur in Zukunft als Teil der Daseinsvorsorge öffentlich betrieben werden kann.
Nun gilt es diese Chance zu nutzen und das Stadtportal langfristig neu auszurichten. Transparenz und Partizipation, Gemeinwohlorientierung und Datenschutz müssen grundlegend gestärkt werden, damit berlin.de ein Portal für alle Berliner:innen wird.
Im Folgenden haben wir fünf Impulse zusammengestellt, wie berlin.de zum Grundstein für einen sicheren und demokratischen, digitalen Stadtraum werden kann. Wir möchten auf diese Weise eine öffentliche Debatte um die Zukunft Stadtportals anstoßen und freuen uns auf den Austausch!
1. Einfacher Zugang zu allen relevanten Informationen der Stadt
Die Nutzer*innenfreundlichkeit von berlin.de muss an erster Stelle stehen: Das Stadtportal sollte als zentraler digitaler Zugangspunkt für öffentliche Verwaltungsdienstleistungen in Berlin übersichtlich und leicht zugänglich sein. Neben der Online-Beantragung von OZG-Verwaltungsleistungen sollen langfristig auch öffentliche Versorgungsleistungen sowie Angebote in den Bereichen Soziales, Kultur, Bildung und Sport sicher und einfach über das Portal gebucht und bezahlt werden können.
Zweitens soll berlin.de der Bereitstellung von Informationen zu politischen Vorgängen auf Bezirks- und Senatsebene dienen. Beschlüsse und Protokolle aus Verwaltung und Parlament sollen dazu transparent und ansprechend aufbereitet werden. Rechtliche Unsicherheiten aufgrund der “Staatsferne der Presse” sollten proaktiv geklärt werden.
Drittens sollte das Portal die vielfältigen Facetten Berlins widerspiegeln und sich zu einem digitalen Stadtraum entwickeln, in dem auch Platz für plurale Perspektiven und Diskurse aus der Stadtgesellschaft ist: Nachbarschaften, Kulturinitiativen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft prägen Berlin genauso wie Wirtschaft, Verwaltung und Politik und sollten eine eigene Repräsentanz auf berlin.de erhalten können.
Ein umfassendes Online-Angebot kann für viele Menschen die Teilhabemöglichkeiten am städtischen Gemeinwesen erhöhen. Barrierefreiheit und Mehrsprachigkeit sollten verbessert und der Einsatz von digitalen Assistenzsystemen geprüft werden. Gleichzeitig müssen analoge Dienstleistungen gezielt aufrechterhalten und weiterentwickelt werden, um neue Zugangshürden für weniger digital-affine Menschen zu vermeiden.
2. Partizipative Entwicklung und Redaktion
Die Umstellung von berlin.de hin zu einem gemeinwohlorientierten Stadtportal bietet die Möglichkeit, die Expertise und Bedürfnisse der Stadtbevölkerung in den Mittelpunkt zu stellen. Die Beteiligung sollte dabei auf mehreren Ebenen stattfinden:
Wir schlagen zunächst ein Partizipationsverfahren vor, in dem Verbesserungsvorschläge zur Websitestruktur von berlin.de erarbeitet werden. Langfristig sollte gesellschaftliche Beteiligung über eine “offene Redaktion” verstetigt werden. Dazu könnte eine repräsentative Auswahl von Bürger:innen und zuständigen Verwaltungsangestellten die Weiterentwicklung der Portal-Architektur beaufsichtigen und die redaktionellen Inhalte mitgestalten.
Zweitens sollte sich das Stadtportal als eine interaktive Plattform begreifen, die auch von zivilgesellschaftlichen Gruppen und Vereinen als öffentliches Forum genutzt werden sollte. Die Bewohner:innen der Stadt sollten eigene Themen setzen und diskutieren können – beispielsweise durch eine deutlich sichtbare Integration der Partizipationsplattform mein.berlin.de.
Bei der Programmierung des Stadtportals sollte drittens auf inklusive Co-Design-Ansätze zurückgegriffen werden. Mithilfe einer Öffnung der Softwareentwicklung in Form von Hackathons und der finanziellen Förderung von Open-Source-Communities lassen sich die Kompetenzen in der Verwaltung ergänzen und um neue Perspektiven erweitern. Angedockt an berlin.de sind vielfältige innovative und gemeinwohlorientierte digitale Infrastrukturen denkbar, die gerade in der Corona-Pandemie eine tragende Säule für das öffentliche Leben im Kiez, in der Stadt und der Region sein können.
3. Daten schützen, Erkenntnisse nutzen
Unter dem Leitprinzip ‚Privacy-by-Design‘ ist die Erfassung und Verwaltung personenbezogenen Daten auf berlin.de auf das geringstmögliche Maß zu begrenzen. Zur Einbindung von externen Karten- oder und Suchdiensten sollte auf kommerzielle Angebote verzichtet werden, die weitreichenden Datenzugriff erfordern. Bezahlsysteme sind so auszurichten, dass sie die Anonymität der Nutzer:innen bewahren.
Nicht personenbeziehbare und aggregierte Nutzungsdaten, die beim Betrieb von berlin.de anfallen, sollten als ‚Data-Commons‘ (OpenData) über offene Daten-Schnittstellen verfügbar gemacht werden. Sie liefern Erkenntnisse darüber, was die Stadt bewegt, welche Themen und Vorgänge relevant sind, welche Leerstelle existieren. Auch die Stadtverwaltung sollte die Daten verantwortungsvoll und transparent nutzen, um soziale Schieflagen und Bedarfe zu identifizieren und neue Angebote zu entwickeln.
Zudem sollte eine unabhängige und demokratische Datenverwaltung nach dem Modell der „Datentreuhänder“ („data trust“) evaluiert werden. Diese hätte auch zur Aufgabe, “algorithmische Diskriminierung”, d.h. die digitale Fortschreibung struktureller Benachteiligung durch verzerrte Datenerhebung und -auswertung, zu minimieren.
4. Konsequent Open Source und offene Standards
Die für berlin.de verwendete Software sollte so weit wie möglich Open Source sein, d.h. der Software-Quellcode sollte veröffentlicht werden und für andere Zwecke genutzt werden können. Dies ist gleich in vielerlei Hinsicht vorteilhaft:
Erstens kann die Stadt teure Lock-In-Effekte von privaten Software-Anbietern vermeiden und die digitale Souveränität der Stadtverwaltung zu stärken, indem bei der Softwareentwicklung gezielt auf offene Datenstandards und -formate zurückgegriffen wird (z.B. Textdokumente im ODF-Format und Karten mit Open Street Map).
Zweitens ermöglicht eine gute Open-Source-Dokumentation den Einbezug der digitalen Zivilgesellschaft, die mit neuen Impulsen und Code-Bausteinen das Stadtportal gemeinschaftlich weiterentwickeln kann.
Drittens sollte die Software für das Berliner Stadtportal und angebundene Applikationen für Terminmanagement etc. in ein “Open Source Code Repository” eingespeist werden, damit auch andere Gruppen, Organisationen und Kommunen von der geleisteten Arbeit profitieren.
Viertens sollten die auf berlin.de eingesetzten automatisierten Entscheidungssysteme und die dabei verwendeten Daten öffentlich dokumentiert und erläutert werden. Angesichts häufig auftretender “algorithmische Diskriminierungen” beim Einsatz von Machine-Learning-Algorithmen bedarf es an dieser Stelle unbedingt einer Kontrolle durch unabhängige Expert:innen aus der Zivilgesellschaft.
5. Ökologische Transformation mitdenken
Der Betrieb von digitalen Plattformen und der zunehmende Datenverkehr ist mit einem erheblich steigenden Energie- und Ressourcenverbrauch verbunden. In der aktuellen Klimakrise sind energieeffiziente Rechenzentren, Datensparsamkeit und der Serverbetrieb mit erneuerbaren Energien (Green cloud computing) auch für das Stadtportal berlin.de ein absolutes Muss.
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Mit der Rekommunalisierung von berlin.de und der Umgestaltung hin zu einem Portal der Stadtgesellschaft kann das Land Berlin zeigen, wie eine moderne und demokratische Digitalisierungs- und Datenpolitik alltagstauglich gestaltet werden kann – und damit auch den Standards der von Berlin mitunterzeichnen Deklaration der „Cities for digital rights“ https://citiesfordigitalrights.org entsprechen.
Wir, das Bündnis Digitale Stadt Berlin, fordern den Senat und alle Parteien im Abgeordnetenhaus auf: Leiten Sie noch vor der Abgeordnetenhauswahl 2021 ernsthafte Schritte ein, um berlin.de zu einem Portal umzubauen, das für und mit den Bewohner*innen der Stadt gemeinsam gestaltet und betrieben wird.
Für Rückfragen stehen wir selbstverständlich sehr gerne zur Verfügung. Wir freuen uns auf die Diskussion!
ihr Bündnis digitale Stadt Berlin